Schreibe einen Kommentar

Nachgefragt: Welche Gefühle vermittelt ein gutes Kinderbuch?

Anna Keller: Zuhause kann so vieles sein.

Anna Keller findet schöne Worte, erzählt von erdachten Welten und traut Kindern dabei auch etwas zu. Denn: „Bücher und Geschichten machen klug und einfallsreich“, weiß Keller. Und weiter: „Sie sorgen dafür, dass wir gestärkt und offen durch die Welt gehen und unsere eigenen Gedanken in sie hineintragen und verwirklichen können. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das Buch gut ist, sprich, dass es uns berührt und begeistert.“ Ihr Kinderbuch „Zuhause kann so vieles sein“ handelt davon, wie verschieden die Lebensrealitäten von Kindern aussehen können und, dass gerade diese Unterschiedlichkeit schön und bunt und gut sein kann. Obendrauf hat Keller ihren eigenen Kinderbuchverlag gegründet – den Urknall-Verlag. Im Interview erzählt sie uns warum gute Kinderbücher wichtig sind, warum „ernste“ Themen auch in der Kinderliteratur nicht fehlen dürfen und wie es eigentlich zur Verlagsgründung kam.

Du hast einen eigenen Kinderbuchverlag gegründet. Wie kam es zu der Idee? Was war dabei bisher schwieriger als du vorher dachtest und was vielleicht leichter?

Ich bin von Haus aus Redakteurin und habe schon immer geschrieben, in den letzten Jahren vor allem für Kinder. Da kam immer wieder der Wunsch in mir auf, ein physisches Buch zu schreiben, das man auch anfassen kann. Die Idee zur Verlagsgründung entstand mit der Pandemie. Ein Soforthilfe-Stipendium für Künstler*innen hat uns ermöglicht, das in die Tat umzusetzen. So konnten wir unser erstes Buch unabhängig, nach unseren Vorstellungen gestalten: unser Tempo, unsere Message, unser Nachhaltigkeitskonzept.

Überrascht hat mich, wie wenige bürokratische Hürden es in Deutschland gibt, wenn du einen Verlag gründen willst. Der Begriff ist nicht geschützt. Du musst lediglich Verlagsprodukte, also Medien wie Bücher, CDs oder Kunstdrucke herstellen, um dich „Verlag“ zu nennen. Auf der anderen Seite sah ich mich mit Pflichten konfrontiert, von denen ich vorher nie gehört hatte – zum Beispiel der Pflicht zur Verpackungslizenzierung. Eine Verpackungslizenz muss nämlich jeder Mensch in Deutschland haben, der Produkte gewerblich an Kund*innen verschickt. Das wusste ich vorher nicht. Auch in puncto Papierauswahl und Druck habe ich eine Menge dazu gelernt.

Warum sind gute und schöne Kinderbücher so wichtig?

Eine sehr schöne Frage. Und ich könnte stundenlange Antworten darauf geben. Aber ich versuch’s mal mit dem Zitat einer sehr klugen Frau: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in großem Maß von der Einbildungskraft jener ab, die gerade jetzt lesen.“ Das hat Astrid Lindgren gesagt und damit eine der wichtigsten Funktionen von Kinderbüchern zusammengefasst: Sie eröffnen neue Welten, regen Fantastie und Geist an, machen klug und einfallsreich. Bücher und Geschichten sorgen also dafür, dass wir gestärkt und offen durch die Welt gehen und unsere eigenen Gedanken in sie hineintragen und verwirklichen können. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das Buch gut ist, sprich, dass es uns berührt und begeistert. Niemand ist offener für diese magische Verbindung mit einer Geschichte als Kinder. Auf der anderen Seite gibt es kaum ein anspruchsvolleres Publikum als Kinder. Deswegen ist es so wichtig, dass die Inhalte, die wir in Kinderbüchern vermitteln, beides haben: ein Wertefundament, das für eine bessere, freundlichere und hellere Welt steht, und packende Geschichten, Bilder und Spielelemente, die einfach Spaß machen.

Welche Gefühle vermittelt ein gutes Kinderbuch für dich?

Kinderbücher können schön, spannend, heiter, dunkel, witzig, geheimnisvoll und, und, und sein. Deswegen kann ein gutes Kinderbuch auch die gesamte Palette an Gefühlen in einem Menschen ansprechen, von Betrübtsein über Wut bis hin zu Fröhlichkeit. Das Wichtigste ist, dass es überhaupt ein Gefühl vermittelt, und Kindern hilft, mit diesem Gefühl umzugehen. Müsste ich mir ein Kriterium für ein gutes Kinderbuch herauspicken, dann würde ich sagen: Gute Kinderbücher empowern. Sie machen Lust und Mut, der Welt offen zu begegnen und Gutes in ihr zu bewirken – für mich selbst und für andere. Wenn dieses Gefühl bleibt, auch wenn wir uns an die Story nicht mehr genau erinnern, ist das Buch für mich gut.

Was ist das Faszinierende an Kinderliteratur? Kannst du das an drei Dingen festmachen?

Es gibt Hunderte Dinge, die mich an Kinderbüchern faszinieren. Aus dem Bauch heraus finde ich diese drei am spannendsten: Nummer 1 – Kinderbücher sind manchmal sehr reduziert und gerade deshalb haben sie so eine gewaltige Kraft. Während Autor*innen bei Erwachsenenromanen oft ins Schwadronieren geraten, bleiben Kinderbücher in ihren Formulierungen meist einfach. Diese aufs Wesentliche reduzierte Sprache finde ich unglaublich schön, weil sie Raum für eigene Gedanken und Gefühle lässt. Nummer 2 – Kinderbücher trauen Kindern auch schwierige Dinge zu. In Büchern für Kinder werden manchmal Dinge verhandelt, die für Erwachsene nur sehr schwer zu verdauen sind. Und zwar aus einer Perspektive, die es überhaupt erst ermöglicht, diese Dinge offen zu betrachten – nämlich aus Kinderaugen. Das finde ich stark. Nummer 3 – Kinderbücher brauchen Liebe, sonst funktionieren sie nicht. Natürlich sind fast alle Bücher Werke wahrer Hingabe ihrer Schöpfer*innen, aber es gibt auch Ausnahmen – nämlich Bücher, die zum alleinigen Zweck des Verkaufens geschrieben werden. Solche Bücher finden sich, wenn überhaupt, in der Kinderliteratur viel seltener als in der Erwachsenenliteratur. Menschen, die Kinderbücher schreiben, wollen in aller Regel etwas bewegen. Das finde ich sehr schön an dieser Branche.

Welche Themen sind dir wichtig? Bzw. Darf man Kindern auch „ernste“ Inhalte zutrauen?

Und ob. Ich bin der Meinung, Kindern kann man in gewisser Weise sogar mehr zutrauen als Erwachsenen. Wir Erwachsenen sind geprägt von unseren Erfahrungen, Meinungen, Standpunkten – alles in uns ist relativ fest, obwohl natürlich einige von uns versuchen, stetig im Flow zu bleiben und uns weiterzuentwickeln. Kinder befinden sich ganz natürlich in diesem Flow. Sie haben das große Glück, noch so neu in der Welt zu sein, dass deren Wunder sie jeden Tag ins Staunen versetzen können. Als Erwachsene verschließen wir uns schneller für Dinge, die uns unangenehm nahegehen können, weil sie uns an erlebte Verletzungen erinnern. Als Kinder haben wir diese Verletzungen oft noch nicht oder nicht so ausgeprägt und sind deshalb offener für Schwieriges. Bücher bieten, in wohlgesetzten Dosen, den besten Rahmen dafür, um Kinder in ihrem Umgang mit solch ernsten Themen zu stärken. Mir persönlich sind Themen wie Identität, Courage, Toleranz und Zusammenhalt wichtig.

Was ist dein Lieblingskinderbuch?

Puh … Diese Frage ist mir schon oft gestellt worden, aber ich find’s immer wieder schwer, sie zu beantworten. Von den Büchern aus meiner Kindheit sind mir „Momo“ und „Ronja Räubertochter“ tief im Herzen geblieben. Im Grunde aber auch tausend andere Bücher (ich hab‘ damals wirklich viel gelesen …), in denen Kinder starke Hauptfiguren waren, die die Welt um sich herum verändert haben. Eine große Portion Freundschaft, ein spannendes Abenteuer und eine Prise Zauber dazu – und ich war voll drin. Heute gibt es so viele wunderbare neue Kinderbücher, dass mir die Wahl auch extrem schwerfällt. Ich mag eigentlich alle Kinderbücher, die Kindern etwas mehr zutrauen als nur Ponyreiten und Prinzessinspielen. Mir gefällt, dass unsere Figuren immer diverser werden und sich viele Autor*innen mit vollem Einsatz dafür engagieren, Kindern Geschichten auf Augenhöhe zu bieten.

Das erste Buch aus deinem Verlag hast du selbst geschrieben. Worum geht es in „Zuhause kann so vieles sein“?

„Zuhause kann so vieles sein“ ist ein Vorlesebuch übers Zuhause-Sein und (Zusammen-)Wohnen. Im Zentrum einer fiktiven Stadt, die jede Stadt in Deutschland sein könnte, steht die 1000-Flausen-Schule mit ihren Kindern. Chen, Madu, Mimi, Ben, Oskar und Co. nehmen uns mit nach Hause und zeigen uns, wie, wo und mit wem sie wohnen. Das kann eine pupsnormale Stadtwohnung, ein Bauwagen oder ein Apfelhof sein. Und dort treffen wir Familien mit Mama und Papa, nur Mama, nur Papa, zwei Mamas, zwei Papas oder auch Großeltern und Erzieher*innen. Die Idee hatten wir im Lockdown, in dem Zuhause-Bleiben für viele Kinder einen negativen Beigeschmack bekommen hat. Wir wollten das Zuhause-Gefühl neu feiern, in dem wir alle daran erinnern, wie schön, bunt und divers die verschiedenen Formen von „Zuhause“ sein können. Es war uns wichtig, „echte“ Wohnungen zu zeigen mit all ihren schönen und weniger schönen Seiten. Deshalb kommen in dem Buch auch Themen wie Wohnungsnot, Flucht und Wohnungslosigkeit vor. Auf der anderen Seite erzählen wir auch von Nachbarschaft, Mehrgenerationenwohnen und Freundschaft. Es geht uns darum, Toleranz für verschiedene Wohn- und Familienmodelle zu vermitteln. Unsere Message lautet: Jedes Zuhause ist anders. Und vollkommen besonders.

 

Anna Keller: Zuhause kann so vieles sein. Urknall Verlag, 15,50 Euro, hier bestellen

Für jedes verkaufte Buch geht  1 € an Off Road Kids, ein Verein, der Straßenkindern und jungen Obdachlosen in Deutschland Perspektiven geben will. 

Und hier findet ihr den Urknall-Verlag auf Instagram.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert